Die AbkürzungEin Pferd trifft eine EntscheidungEs war Winter, der Boden unter uns hart gefroren. Ikarus und ich waren zusammen im Wald auf einem Ausritt. Im Winter haben die Pferde auf Ikarus' Reiterhof keine Hufeisen an den Füßen, damit sie nicht rutschen. Es lag aber kein Schnee, also war das im Moment ziemlich egal. Der Weg war auch nicht vereist, so daß wir auf der üblichen Galoppstrecke sogar galoppieren konnten. Als wir etwa die Hälfte des Ausritts hinter uns hatten, begannen Ikarus die Füße weh zu tun. Ich schaute zu seinen Hufen hinunter und sah, daß diese an den Rändern regelrecht ausgefranst waren. Der gefrorene Boden wirkte offenbar wie Schmirgelpapier. Sofort lenkte ich Ikarus ein Stück an den Waldrand, wo es viel weicher als auf dem Weg war. Wir gingen fast nur noch im Schritt zwischen den Bäumen hindurch, zurück in Richtung Stall. Daß ich nun den offiziellen Reitweg verlassen hatte, kümmerte mich momentan überhaupt nicht. Auf dem weichen Boden fiel Ikarus das Gehen wesentlich leichter. Nachdem wir schon ein größeres Stück des Rückweges geschafft hatten, bog Ikarus nach rechts ab, weil er eine Abkürzung kannte, die er vor längerer Zeit offensichtlich schon einmal gegangen war. Er führte mich durch den Wald, um nach einigen hundert Metern auf einen schmalen Weg zu treffen, den wir nach links gingen. Wieder nach einigen hundert Metern kamen wir an einen kleinen Graben, der normalerweise kein Problem für uns dargestellt hätte. Leider hatte man aber einen großen Haufen alter Ziegelsteine hineingeschüttet, so daß uns der Weg versperrt war. Ikarus blieb stehen. Ich suchte nach einer Umgehungsmöglichkeit, aber Ikarus warf kurz seinen Kopf hin und her und kehrte um. So mußten wir die ganze Strecke wieder zurückgehen. Glücklicherweise war der Waldboden aber so weich, daß mein Pferd damit keine weiteren Schwierigkeiten hatte. Wieder am Hauptweg angekommen gingen wir weiter am Waldrand zwischen den Bäumen hindurch und kamen so wieder zu Hause an, wenn auch etwas später als geplant. Nachdem ich ihm Sattel und Trense abgenommen hatte, schaute ich mir seine Hufe genauer an. Es war zwar kein echter Schaden auszumachen, aber ich würde ihn für einige Zeit mit dem Reiten in Ruhe lassen müssen. Die letzten Tage, bevor ich wieder abreisen mußte, verbrachten wir daher mit Spaziergängen, die wir aber auch sehr schön fanden. Glücklicherweise war keine Feriensaison, so daß auch keine Kinder auf ihm reiten wollten. Später ließ mich ein Gedanke aber nicht mehr los: Woher wußte ich auf dem Ausritt eigentlich plötzlich, daß Ikarus seine Füße weh taten? Und woher wußte ich sofort, daß Ikarus eine Abkürzung gehen wollte, und er nicht einfach nur versuchte, seinen Willen durchzusetzen und die Richtung selbst festzulegen? |