Ungeahnte Möglichkeiten!Geht man auf das Wesen, die Denkweise und die Sprache der Pferde ein, eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Diese gehen manchmal über das, was sehr viel bessere Reiter als wir selbst erreichen können, hinaus.Mit dieser kleinen Geschichte möchte ich nicht erreichen, daß Sie vielleicht leichtsinning werden und sich deshalb in Gefahr begeben. Vielmehr möchte ich Ihnen zeigen, was mithilfe der Kommunikation mit Pferden möglich werden kann. Pferde unterscheiden sich genauso in ihrem Charakter, wie das bei uns Menschen der Fall ist. Das, was ich im Folgenden schildere, ist also nicht unbedingt mit jedem Pferd möglich. Man muß dazu in der Lage sein, die Pferde entsprechend zu unterscheiden. Vor einiger Zeit zogen meine Eltern aus Thüringen in den Harz um. Der Mann, der für sie den Umzug durchführte, fuhr auch regelmäßig Kutsche. Dazu besaß er zwei Kutschpferde. Außerdem auch zwei Warmblutpferde, die allerdings seit Jahren nicht mehr geritten wurden. Da meine Eltern ja über meine Passion Bescheid wußten, arrangierten sie für meinen nächsten Besuch bei Ihnen ein Zusammentreffen mit dem Pferdebesitzer. Schnell konnte ich ihn überzeugen, daß ich im Urlaub weniger an ordentlichen Reitstunden auf einem durchorganisierten Reiterhof, als viel mehr an der individuellen Beschäftigung mit Pferden interessiert war. Im Ergebnis durfte ich, wann immer ich dort zu Besuch sein würde, die beiden Warmblutpferde reiten. Zu Beginn beschäftigte ich mich mit dem Traber Argus. Für ihn konnte ich zuerst einen passenden Sattel zusammenstellen und eine Trense anpassen. Ich putzte ihn ausgiebig in seiner Box. Später führte ich ihn einige Zeit auf dem Hof herum, denn einen Reitplatz gab es nicht. So konnte ich ihn ein wenig kennen und einschätzen lernen. Er seinerseits konnte lernen, daß ich sein (freundlicher) Chef sein wollte. Bei eigenmächtigen Tempo- oder Richtungsänderungen korrigierte ich ihn sofort. Da ich sehr darauf konzentriert war, konnte ich frühzeitig reagieren, so daß dazu kaum Kraft erforderlich war. Für das, was er richtig machte, lobte ich ihn freudig. Manchmal hielten wir dazu an, damit ich ihn ausgiebig streicheln und kraulen konnte. Ich legte dann den Sattel auf und zog in mehreren Etappen den Sattelgurt (noch nicht zu fest) an. Schließlich war er das seit Jahren nicht mehr gewöhnt. Auch die Trense legte ich an, und führte ihn damit nochmals einige Minuten in der gleichen Weise wie zuvor auf dem Hof herum. Zum Schluß machte ich noch einige Aufstiegsversuche. Nach einigen, wenigen Metern im Schritt auf dem Hof stieg ich wieder ab und ließ ihn dann für diesen ersten Tag in Ruhe. Nun hatte er bis zum nächsten Tag etwas, worüber er nachdenken konnte. Am nächsten Tag putzte und sattelte ich ihn und machte auf dem Hof noch ein paar weitere Aufstiegsversuche. Einen Reitplatz gab es dort ja nicht. Also führte ich ihn zu einem etwa hundert Meter entfernten Feldweg. Dort stieg ich auf und ging mit ihm im Schritt den Feldweg entlang. An einer Wasserfurt machten wir kehrt und gingen wieder bis zu unserem Ausgangspunkt zurück. Diese Strecke war an diesem Tag unser Reitplatz. Natürlich war Argus aufgeregt. Das konnte ich spüren. Deshalb versuchte ich ihn immer wieder zu beruhigen, indem ich meine Fäuste schwer auf seinem Widerrist auflegte oder ihn unter der Mähne kraulte. Auch mit Lob sparte ich nicht. Strafe gab es gar nicht. Wenn er glaubte, irgendwo eine potentielle Gefahr ausfindig gemacht zu haben (Ohren drehten sich in diese Richtung), machte ich mich sofort mit einigen halben Paraden auf dieser Seite bemerkbar, um ihm zu zeigen, daß ich "es" auch gesehen hatte, und trieb einige Schritte verstärkt, um ihm meine diesbezügliche Entscheidung mitzuteilen: "Wir gehen einfach weiter!". Sehr bald verließ er sich auf mich und gab sich große Mühe. Am darauf folgenden Tag machten wir unseren ersten Ausritt in den Wald. Ich hatte mir das vorher genau überlegt: Ich hielt mir zu jeder Zeit die Option offen, umzukehren. Denn niemand konnte mich dazu verpflichten, den Ausritt bis zu Ende durchzuführen. Im "schlimmsten" Fall könnte ich absteigen und ihn nach Hause führen. Die ganze Zeit über war ich voll auf mein Pferd konzentriert. Ich bemühte mich, immer dorthin zu schauen, wo ich hinreiten wollte, um ihm und mir immer wieder ein klares Ziel zu geben. Seine Aufregung war zu Beginn etwas größer als am Tag zuvor. Aber ich konnte ihn immer wieder - genau wie am Vortag - beruhigen. Auch durch Ablenkung, indem wir mal auf der rechten, dann wieder auf der linken Seite des Weges gingen. Oder ich streichelte ihn einfach am Hals. Auch Lob war wieder großgeschrieben. Zu dieser Zeit war Winter. Der Boden noch gefroren, und stellenweise lag noch vereister Schnee. Nachdem wir einige Streckenabschnitte im Trab zurückgelegt hatten, wollte er mir zeigen, daß er auch galoppieren konnte. Also suchte ich krampfhaft nach einem Stück Weg, auf dem das auch möglich war, ohne auszurutschen. Endlich ging ein Weg nach rechts ab. Er ging leicht bergauf und war frei von Schnee und Eis. Dorthin bogen wir ab, trabten an und als ich auch nur an die Galopphilfe dachte, galoppierte er auch schon. Stolz wie ein Schneekönig! Ich streichelte ihn während des Galopps zwei-, dreimal am Hals und lobte ihn: "Priiiima, Argus!". Als der Weg in eine enge Kurve mündete, parierten wir wieder durch. Argus war völlig außer Atem. Er senkte den Kopf und sah tief befriedigt aus. Ich streichelte und lobte ihn dafür ausgiebig. Im Schritt und etwas Trab ritten wir wieder nach Hause. Argus sah nach dem Ausritt etwas größer, etwas stolzer und etwas selbstbewußter aus. Ich glaube, er war mit mir genauso zufrieden wie ich mit ihm. Mit Argus' Freund Pitzmann, dem zweiten Warmblut, verfuhr ich später genauso. Trotzdem war Argus derjenige, der mir immer etwas stärker vertraute als Pitzmann. Wenn ich später jemanden auf einen Ausritt mitnehmen wollte, setzte ich ihn auf Argus, mich selbst aber auf Pitzmann. Denn Argus war zu jeder Zeit auf mich konzentriert, und achtete stets darauf, in meiner Nähe zu bleiben. Wir beide waren wie mit einem unsichtbaren Band miteinander verbunden. |