Schnitzel und Boulette... das sind böse Worte im Zusammenhang mit Pferden. Aber so sind die Menschen - naja glücklicherweise nicht alle.Im letzten Urlaub war ich wieder in Thüringen bei meinem Patenpferd Ikarus. Auf diesem Ferienreiterhof weiß man, daß ich mich sehr gern und geduldig mit Pferden beschäftige. Deshalb übertrug man mir diesmal eine besondere Aufgabe: Ich sollte mich um zwei Stutfohlen kümmern, die bisher noch kein Mensch angefaßt hatte. Nachdem das eine Fohlen ein Jahr auf der Koppel verbracht hatte, das andere sogar zwei Jahre, hatte man sie zusammen in eine Box getrieben, wo sie seither standen. Ihre Namen: Schnitzel und Boulette. Ich weiß nicht, wem man welchen dieser Namen zugedacht hatte; ich benutzte keinen davon. Als ich zum ersten Mal vorsichtig die Box betrat (natürlich seitlich), wichen beide umgehend in die gegenüberliegende Ecke zurück. Die Zweijährige versteckte sich dabei hinter ihrer Freundin. Deshalb blieb ich zunächst am Eingang stehen und wartete einfach ein paar Minuten, damit sie sehen konnten, daß die Anwesenheit eines Zweibeiners keine unmittelbare Gefahr darstellen muß. Außerdem hatte man mir erzählt, daß beide sofort mit den Hinterhufen ausschlagen würden, wenn sie sich zu sehr bedrängt fühlten. Auch deshalb gefiel mir mein Platz an der Eingangstür zunächst recht gut. Ich bückte mich langsam und begann das Heu rechts von mir ein wenig zu ordnen. Mit meinem gezeigten Interesse am Heu wollte ich mich als Pflanzenfresser zu erkennen geben. So verbrachte ich ungefähr zwanzig Minuten damit, den beiden hin und wieder etwas von dem Heu zuzuschieben. Als sie damit begannen, nachdem ich meine Hand jedesmal wieder zurückgezogen hatte, von dem Heu auch zu fressen, verließ ich die Box bald darauf wieder, und ließ sie über das Vorgefallene nachdenken. Eine Stunde später kam ich zurück: Mit einem Korb voll frisch geerntetem Gras. Zunächst hielt ich ihnen den Korb einfach nur hin und wartete. Die Einjährige streckte ihren Kopf als erste vorsichtig in meine Richtung aus. Dann begann sie zu fressen. Die Zweijährige traute sich nicht so richtig. Deshalb legte ich eine Handvoll Gras in ihre Nähe, damit auch sie davon fressen konnte. Das traute sie sich. Am nächsten Morgen ging ich wieder zu ihnen. Ich war früh genug da, man hatte noch nicht gefüttert. Also gab ich ihnen ihr morgentliches Heu und stellte einen Eimer frisches Wasser hinein. Ich selbst setzte mich neben den Wassereimer und ließ sie fressen. Immer öfter schielten sie zum Wasser, denn Heu fressen macht durstig. Die Einjährige ging als erste weit hinter mir einen Bogen, um sich dann langsam anzunähern. Ganz langsam. Endlich konnte sie ihren Kopf neben mir zum Wasser senken. Ich drehte langsam und nur ganz wenig meinen Kopf in ihre Richtung, damit sie sehen konnte, daß ich sie bemerkt hatte. Sonst tat ich nichts. Die Zweijährige brauchte für diese schwerwiegende Entscheidung noch eine viertel Stunde. Dann trank auch sie. Als sie damit fertig war und sich wieder zurückgezogen hatte, verließ ich langsam die Box, damit beide in Ruhe über den Vorfall nachdenken und sich unbeobachtet darüber austauschen konnten. Nach dem Mittagessen steckte ich mir drei große Möhren ein, und besuchte wieder meine Schützlinge. Ich nahm die erste Möhre aus der Tasche und zerbrach sie in kleinere Stücke. Dabei wurde ich aufmerksam beobachtet. Ich hielt der Zweijährigen das erste Stück hin. Nach einer Weile nahm es mir die Einjährige vorsichtig aus der Hand. Auf diese Art ließ sie sich zwei Möhren allein schmecken. Als ich die letzte Möhre zerteilte, streckte mir endlich die Zweijährige ihren Kopf vorsichtig entgegen. Dabei entwickelte ihr Hals nahezu die Länge eines Giraffenhalses. So kam auch sie zu ihrem - wenn auch kleineren - Anteil am Gemüse. Eine Weile blieb ich noch in der Box. Das war gut so. Denn die Einjährige interessierte sich sichtlich für meine Hosentasche, der ich zuvor die drei Möhren entnommen hatte. Sie begann, die Hosentasche und deren Umgebung zu untersuchen. (Der von ihren Zähnen dabei verursachte blaue Fleck auf meinem Oberschenkel ist bereits wieder fast verheilt und kaum noch der Rede wert.) Wie selbstverständlich glitt meine Hand unter ihre Mähne und begann sie dort zu kratzen. Noch bevor sie den Kopf zurückziehen konnte, stellte sie überrascht fest, daß das angenehm war. - Sie ließ es geschehen. Ich tastete mich weiter vor in Richtung Widerrist und Rücken. Sie bearbeitete dabei (mehr oder weniger vorsichtig) meinen anderen Arm (und auch hier ist inzwischen kaum noch etwas davon zu sehen). Am Abend ging ich mit zwei vollen Händen Gras hin. Beide fraßen es aus der Hand. Sogar die Zweijährige konnte ich dabei ein paar Mal kurzzeitig vorsichtig auf der Nase streicheln. Am nächsten Tag nahm ich mutig einen Nadelstriegel mit. Tatsächlich konnte ich der Einjährigen damit am Hals und fast auf dem gesamten Rücken das Winterfell entfernen. Abends hatte ich bereits die Kruppe und ein beträchtliches Stück des Bauches mit dem Striegel bearbeitet. Die Zweijährige versteckte sich nicht mehr hinter ihrer Freundin, und beobachtete unser Treiben die ganze Zeit. Sicherlich war ihr nicht entgangen, wie ihre Freundin das Striegeln genoß. Aber die Angst überwog wohl noch. Auch am nächsten und übernächsten Tag. Und eine weitere Veränderung war mir aufgefallen: Wenn ich jetzt die Box der beiden Stutfohlen betrat, kamen sie auf mich zu; die Einjährige ließ sich dabei jedesmal streicheln und kraulen. Vier Tage später erlaubte mir auch die Zweijährige die behutsame Anwendung des Striegels. Am nächsten Tag hatte ich dann auch ihr Winterfell beträchtlich dezimiert. Schade, daß der Urlaub dort dann schon wieder fast vorbei war. Den zweiten (etwas kleineren) Teil verbrachte ich bei meinen Eltern im Harz. Aber bis dahin hatten die beiden Fohlen schon schöne Fortschritte gemacht. Sogar die Beine der Einjährigen konnte ich anfassen. Leider kam ich nicht mehr bis zum Aufnehmen der Hufe. Trotzdem war ich aber recht zufrieden mit uns dreien. Immerhin war es mein erster Versuch im Umgang mit solchen Pferden. Denn normalerweise beginnt man sehr viel früher, sich mit den Fohlen zu beschäftigen. Pferde wie diese beiden sind daher relativ selten. Sie sind nach so langer Zeit ohne Kontakt mit Menschen wie Wildpferde. Je länger sie so gelebt haben, desto schwerer ist es, sich ihnen zu nähern und ihnen die Angst vor dem Menschen zu nehmen. Deshalb hat die Annäherung an die Zweijährige auch soviel länger gedauert als die an ihre Freundin. |