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Cilly

Cilly darf ich keinesfalls vergessen zu erwähnen. Von ihr habe ich u. a. gelernt, wie wichtig es ist, möglichst frühzeitig auf ein Pferd zu reagieren. Je früher ich reagiere, desto weniger Kraft benötige ich dazu, desto weniger Kampf entsteht zwischen Mensch und Pferd.

Cilly ist noch recht jung. Wie jung, weiß keiner so genau; vielleicht 10 Jahre.
Die Besitzer unseres Reiterhofes betreiben auch Landwirtschaft. Von einem Bauern wollten sie einen Mähdrescher kaufen. In dem Schuppen, direkt neben dem Mähdrescher, sahen sie - obwohl es dort sehr dunkel war - ein Pferd. Cilly. Dort stand sie die meiste Zeit ihres bisherigen Lebens. Manchmal kam an einem Wochenende eine Enkelin des Bauers, warf ihr den Sattel auf den Rücken, streifte die Trense über den Kopf und saß auf. Dann ging es im Galopp durch's Gelände. Wieder zu Hause, wurde Cilly wieder im Dunkeln neben dem Mähdrescher angebunden.
So kam es, dass unsere Reiterhofbesitzer nicht mit einem Mähdrescher sondern mit einem Pferd zurückkamen.
Cilly ist ein Haflinger-Mix, größer als ein Haflinger und mindestens genauso kräftig. Sicherlich könnte sie für mich noch ein wenig größer sein. Aber alle anderen Reiter versichern mir immer wieder, dass wir beide zusammen gut aussähen, und Cilly für mich überhaupt kein bißchen zu klein ist (wahrscheinlich, weil jeder froh ist, Cilly nicht reiten zu müssen, wenn ich da bin).

"Schnell! Wir müssen los!"

Vor allem in der Reithalle hat Cilly Schwierigkeiten, ruhig zu bleiben. Sobald ein anderes Pferd galoppiert, glaubt sie, sie müßte das auch tun. Dabei wird sie übereifrig, scheinbar aus Angst, etwas falsch zu machen. Durch ihre Aufregung kann es passieren, dass sie im Galopp quer durch die Halle schießt - viel zu schnell, obwohl sie noch im Schritt in der Abteilung gehen sollte. Schafft man es, sie zurückzuhalten, und ist man dann selbst mit dem Einzelgalopp an der Reihe, verzettelt sie sich vollständig und dreht sich nur noch in der Mitte im Kreis. Trifft sie die Galopphilfe unvorbereitet (z. B. wenn wir als erste mit dem Einzelgalopp an der Reihe sind), galoppiert sie auch. Allerdings viel zu schnell.
Im Gelände ist sie leichter zu handhaben. Auf einer Galoppstrecke kann sie allerdings ebenfalls wesentlich schneller werden, als sie soll. Und im Trab versucht sie desöfteren, anzugalopperen ("Bestimmt galoppieren wir gleich. Jetzt! Oder? Doch bestimmt, jetzt!...").

Hab' keine Angst!

Als ich Cilly das erste Mal reiten sollte, hatte ich pure Angst. Denn ich hatte ja zuvor gesehen, was sie mit den anderen Reitern vor mir gemacht hatte. Um so erstaunter war ich, dass Cilly sich mit mir auf dem Rücken besser unter Kontrolle hatte. Sie war wesentlich harmloser, als ich das zuvor beobachtet hatte. So kam es, dass ich bei ihr blieb. Nun reite ich sie schon viele Monate, und wir verstehen uns immer besser. Ohne zu zögern würde ich sagen, dass wir befreundet sind.

Je schneller desto leichter

Anfangs musste ich in solchen problematischen Situationen noch unter gehörig viel Kraftaufwand mit den Schenkeln und den Zügeln einwirken. Mir tat es weh bei dem Gedanken, dass diese Kraft direkt zu ihrem Maul weitergeleitet wurde. Das musste ihr doch einfach wehtun! Nach und nach lernte ich immer zeitiger zu erkennen, wann Cilly sich wieder aufregte. Immer häufiger gelang es mir, durch Beruhigen, Streicheln und Ablenken, solche "Anfälle" zu verhindern. Überraschte mich so ein "Anfall" dennoch, gelang es mir von Mal zu Mal durch rechtzeitigeres Reagieren, die Auswirkungen zu minimieren. Immer häufiger bemerkte niemand mehr, dass mein Pferd soeben fast wieder aus der Abteilung ausgeschert wäre. Je schneller ich reagierte, desto weniger Kraft musste ich noch aufwenden.

Langsam, langsam, Cilly!

Nun hatten wir noch das Problem, dass Cilly viel zu schnell galoppierte. In der Reithalle, wo ja weniger Platz als im Gelände ist, können da schon brenzlige Situationen entstehen. Zum Beispiel, wenn wir auf eine Ecke zuschossen, wo wir ja abwenden mussten, wenn wir nicht gegen die Wand rennen wollten. Und das wollten wir definitiv nicht! Irgendwann sah unser Reitlehrer, dass Cilly sich gleich nach dem Angaloppieren den Zügeln entziehen wollte. Die hielt ich ja ein wenig fester, damit sie nicht so schnell wird... Er sagte mir: "Sobald Cilly einigermaßen die Richtung gefunden hat, gib sofort den inneren Zügel nach!" Ich galoppierte erneut an, und kam ihr durch das Nachgeben zuvor. Denn wo kein Zügel ist, braucht sie sich auch keinem Zügel entziehen! Erst nach drei, vier Galoppsprüngen begann ich sie wieder einzufangen mit weichen, stärker werdenden halben Paraden am inneren Zügel. Seitdem mache ich das immer so, was unsere diesbezüglichen Probleme deutlich reduziert hat. Obgleich ich zugeben muss, dass es eine ordentliche Portion Überwindung kostet, den inneren Zügel bei dieser Geschwindigkeit vollständig nachzugeben. Aber diese Lösung funktioniert am besten. Außerdem hält sich dadurch Cillys Aufregung in Grenzen, so dass wir insgesamt ruhiger reiten.

Laß dich führen!

Mit dieser Aufforderung hatte Cilly ein wenig ihre Schwierigkeiten. Sie wurde schneller, zog, drängelte, wollte fressen... Neben dem Mähdrescher im dunklen Schuppen konnte sie natürlich kein Sozialverhalten lernen. Das sieht man noch heute ein wenig, wenn sie mit anderen Pferden auf der Koppel zusammen ist.
In unserer Anfangszeit war Cilly nach der Reitstunde vor Aufregung jedesmal ziemlich naßgeschwitzt. Deshalb meinte die Reitlehrerin, ich solle sie auf dem Reitplatz noch eine Weile trockenführen. Was niemand wahrnahm: Wir nutzten die Gelegenheit zum Führtraining. Nach einigen Malen paßte sie meist genau auf, was ich tat. Blieb ich stehen, stand auch sie. Bog ich plötzlich nach rechts ab, tat sie das auch, ohne, dass ich über ihre Füße fiel... Trotzdem muss man auch heute noch beim Führen wie beim Reiten regelmäßig ihre Aufmerksamkeit fordern. Cilly ist recht leicht ablenkbar. Reagiert man aber rechtzeitig, schon wenn sie nur den Kopf ein wenig wendet, und damit ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet, dann ist das überhaupt kein Problem. Als Reaktion genügt dann in den meisten Fällen ein kurzes Annehmen des Führstricks.

Resumée

Cilly und ich verstehen uns unterdessen schon recht lange sehr gut. Sie wird außer von mir nur selten von jemand anderem geritten. So ist sie für mich zeitweise wie ein eigenes Pferd. Wenn ich das zweite Mal in der Woche zu ihr komme, stimmt meine Einstellung der Steigbügellänge meistens noch.
Natürlich reiten wir beide nach wie vor nicht fehlerfrei. Aber wir sind im Vergleich zum Beginn unserer Partnerschaft sehr viel besser geworden. Am wohlsten fühlen wir uns auf Ausritten im Gelände. Wir gehen auch gern nebeneinander her: Inzwischen läßt Cilly sich wunderbar von mir führen.
Einmal bin ich geradewegs über den Hof in ihr Stallgebäude gegangen. D. h. ich wollte es. Was ich nicht gesehen hatte, war, dass sie nicht im Stall sondern auf dem Reitplatz zusammen mit anderen Pferden stand. Sie hatte mich aber gesehen und rief mich mit diesem typischen, freundlichen, tiefen Wiehern. Da war die Freude auf meiner Seite natürlich riesengroß.