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Die Gerte

Die Gerte wird offenbar häufig für ein Schlag- und Strafinstrument gehalten. - Wie oft haben Sie denn selbst schon die Aufforderung gehört: "Setz Dich durch! Hau 'mal anständig mit der Gerte drauf! Der Gaul veräppelt Dich bloß." - Der Schlag mit der Gerte ist in vielen Reitstunden Alltag.
Im ersten Moment hilft dieser Gerteneinsatz auch tatsächlich. Das Pferd erschrickt, der Schlag tut weh. - Das Pferd reagiert aus Angst vor weiteren Schlägen. Dadurch verbessere ich aber keinesfalls die Beziehung zu meinem Pferd. Ein Pferd, das aus Furcht im Moment richtig reagiert, wird in einer Situation, in der es vielleicht einmal darauf ankommt, nicht unbedingt auf meiner Seite stehen. Dies sollte ich bei der Handhabung der Gerte bedenken. Schaffe ich es, mein Pferd auf andere Weise zur Mitarbeit zu bewegen, kann ich mich vielleicht auch in einer brenzligen Situation, die ich allein nicht mehr behrrschen würde, auf meinen Freizeitpartner verlassen. Das ist mir die Überlegung wert.
Übrigens: Das Argument, daß der Gertenschlag dem Pferd nicht wehtut, erscheint mir sehr fragwürdig: Ein Pferd bemerkt sogar eine Fliege, die sich auf sein Fell setzt...

Dabei hatte die Gerte ursprünglich eine ganz andere Bedeutung: Sie soll die Reiterhilfen unterstützen und verdeutlichen. Sie ist kein Schlagstock. - Ach so? Was tut man dann eigentlich mit einer Gerte?

Es gibt viele Möglichkeiten, die Gerte sinnvoll einzusetzen:

Man kann ...
  • das Pferd mit der Gerte antippen, um es auf die gerade anliegenden Reiterhilfen aufmerksam zu machen und ihre Bedeutung zu erklären
  • die Gerte vor dem Reiterschenkel anlegen, um eine Richtung zu verdeutlichen, z. B. wenn das Pferd eine Wendung abkürzen will, und man das Pferd wieder nach außen dirigieren möchte
  • damit auf einem Ausritt die Fliegen oder Bremsen vom Pferd abstreifen
  • damit hinter sich wedeln und sirrende Geräusche verursachen, wenn sich das Pferd sonst nicht von der Weide führen lassen will
  • die Gerte als Hilfsmittel bei der Bodenarbeit einsetzen, z. B. ein Bein antippen, um nur dieses zu bewegen
Übrigens: Auch für den Einsatz der Gerte gilt: Je früher ich auf mein Pferd reagiere, desto weniger Kraft muß ich für die gleiche Wirkung aufbringen. Also: Lieber immer wieder üben, schneller zu reagieren!

Hier ein kleines Beispiel, was der unsachgemäße Einsatz der Gerte bei einem Pferd für Auswirkungen hatte:

Nachdem ich einige Zeit regelmäßig auf Ikarus geritten war, hatte sich unsere anfängliche Aufregung gelegt. Seine und meine. Dafür bekam ich ein neues Problem mit Ikarus beim Reiten: Wir hatten unterschiedliche Vorstellungen von der Dauer einer Reitstunde. Auf seinem Hof dauert eine Reitstunde offiziell 45 Minuten. Da Pferde ein sehr genaues Zeitgefühl haben, mußte er einfach eine andere Meinung darüber haben: 35 Minuten sind völlig ausreichend! Denn nach dieser Zeit "parkte" er ein und wollte die Stunde beenden. Ich konnte ihn kaum noch vorwärts bewegen. Eines Tages sagte der Reitlehrer: "Ich gehe nur etwas holen. Ich komme gleich zurück." Als er wiederkam, hatte er beide Hände auf dem Rücken. Um mir zu zeigen, was er dort versteckte, nahm er die rechte Hand ganz kurz zur Seite. Als Ikarus die Gerte sah, machte er einen panischen Satz zur Seite. Zum ersten Mal sah ich das Weiße im Auge eines Pferdes. Irgendwie schaffte der Reitlehrer es, sich uns - mit wieder versteckter Gerte - zu nähern. Blitzschnell hielt er sie mir hin, blitzschnell griff ich zu. Ikarus sprang nach vorn und bewegte sich von nun an im Galopp. Runde für Runde. Ich bemühte mich, die Gerte ruhig zu halten, und stützte mich mit den Zügelfäusten schwer seitlich neben seinem Widerrist auf. Nach und nach beruhigte ihn das wieder.
Von nun an brachte mir der Reitlehrer jedesmal die Gerte. Es dauerte Wochen, bis ich das erste Mal mit der Gerte in der Hand aufsteigen konnte. Und es dauerte noch einmal Wochen, bis ich ihn überall mit der Gerte antippen konnte, ohne ihn zu noch beunruhigen.


Und zum Schluß hätte ich da noch den Kommentar einer Reitlehrerin bezüglich des Einsatzes der Gerte:

Noch lange nachdem ich mit dem Reiten begonnen hatte, konnte ich viele Pferde noch nicht ohne Schwierigkeiten angaloppieren. Bei einer Stute fiel mir das besonders schwer. Deshalb riet mir die Reitlehrerin (Lehrling), bei der wir damals am häufigsten Unterricht hatten, doch zum Angaloppieren die Gerte etwas deutlicher einzusetzen. Mir gefiel das gar nicht, aber ich wußte keine andere Möglichkeit. Irgendwann hatten wir dann einmal bei der Chefin Unterricht. Im Verlauf der Stunde erreichten wir dann den Punkt, an dem ich im Einzelgalopp meine bis dahin erworbenen Fähigkeiten zeigen sollte. Also gab ich das, was ich damals unter Galopphilfe verstand, biß die Zähne zusammen und verpaßte dem armen Pferd einen leichten Schlag mit der Gerte. Genauso, wie ich es gelernt hatte. Die Chefin sagte: "Nein, Jörg! Ohne Gerte nochmal angaloppieren! Du betrügst dich doch nur selbst!"