"Erste Begegnung mit einem Pferd"
Wenn man sich mit einem neuen Pferd bekanntmachen will, möchte man natürlich den bestmöglichen Eindruck hinterlassen. Schließlich stellt man ja ein wenig die Weichen für die zukünftige Zusammenarbeit. Also versucht man naturgemäß, möglichst alles richtig zu machen.
Als ich mein neues Pflegepferd Guy das erste Mal treffen sollte, war das ganz genauso. Deshalb gab ich mir die allergrößte Mühe. Und das sah so aus:
Was ich tat | und was es bedeutet |
Mit einem Führstrick ausgestattet begab ich mich auf die Weide, wo sich Guy zusammen mit vier anderen Pferden gerade aufhielt. Zunächst ging ich einfach auf die Gruppe von drei Pferden zu, wo auch Guy stand. |
In dieser Entfernung spielt die Richtung noch keine so große Rolle, da ich noch weit von seinem Individualbereich entfernt war. |
Später begann ich einen Bogen zu gehen, damit ich mich ihm von vorn-seitlich nähern konnte. Natürlich schaute ich ihm dabei nie direkt in die Augen. |
Freundliche Annäherung. |
Als ich noch einige Meter entfernt war, wandte er mir seinen Kopf und damit seine Aufmerksamkeit zu. Für einen Moment blieb ich deshalb stehen und sah mich in der Gegend um. Nach einigen Sekunden ging ich langsam weiter. Zwei Meter vor ihm blieb ich nochmals stehen und wartete einige Sekunden. |
Ich bin auch wie du, deshalb beobachte ich die Umgebung. Ich möchte nichts tun, was dich beunruhigt. Deshalb respektiere ich deinen Individualbereich und warte. |
Nun ging ich langsam zu ihm (er kam mir also die letzten Meter nicht entgegen), drehte mich in die gleiche Richtung wie er, und hielt ihm meine Handoberseite zum Beschnuppern hin. |
Ich komme in freundlicher Gesinnung. Und probier mal, ob du mich riechen kannst. |
Erst dann hakte ich den Führstrick ein und streichelte ihn an der Stirn. |
Fragen, ob er mir vertraut (oder z. B. kopfscheu ist) |
Als nächstes probierte ich aus, wie er sich führen ließ. Damit er losging, mußte ich etwas Zug am Halfter ausüben. Sofort, als er sich in Bewegung setzte, ließ ich den Zug am Halfter nach, als hätte ich mir die Finger verbrannt. Nun lief er neben mir her. Dann bog ich nach links ab, das ist am leichtesten. Um es ihm leichter zu machen, zupfte ich vor dem Abbiegen zweimal am Halfter zu mir nach links. Das klappte prima. Wie Sie mich inzwischen kennen, lobte ich ihn dafür ausgiebig. Also als nächstes nach rechts: am Halfter nach rechts zupfen und abbiegen. Na also, geht doch! Fein gemacht, Guy!
Wenn sein Kopf sich wegdrehen wollte, hielt ich gleich am Anfang mit dem Führstrick dagegen. Da ich sehr schnell reagierte, war das sehr leicht und kostete keine Kraft. - Gut, daß ich das immer wieder geübt hatte. |
Das Führen eines Pferdes betrachte ich als die Grundlage aller Bodenarbeit. Hier kann ich sofort sehen, um was für ein Pferd es sich handelt, ob er Chef sein will, oder sich leicht unterordnet. Ich kann ihm aber bei Bedarf auch leicht zeigen, daß ich beabsichtige, der Chef von und beiden zu sein, indem ich ihn bei kleinen Abweichungen sofort korrigiere: "Guck nach vorn!" |
Wir waren noch nicht lange beim Üben, als uns die zwei vorher abseits stehenden Pferde zu stören begannen. Sie begannen, Guy regelrecht zu attackieren. Als sie sich wieder näherten, hakte ich den Führstrick aus, hielt Guy am Halfter, und mit der anderen Hand ließ ich den Führstrick sehr schnell in Richtung der beiden Störenfriede kreisen. Der Strick machte sirrende Geräusche. Die beiden Pferde ergriffen daher lieber die Flucht. Nun konnten wir weitermachen. Ab jetzt war Guy das aufmerksamste Pferd der Welt. Wenn ich abbog, brauchte ich nicht mehr am Halfter zupfen. Er ging die gleichen Bögen und Haken, wie ich, sein neuer, freundlicher Chef. Und er schien es gern zu tun, und war ein ganzes Stück entspannter als vorher. |
Durch das Verscheuchen der beiden ranghöheren Pferde konnte ich Eindruck auf Guy machen. Für ihn war jetzt klar: "Boh ey, der kann die Bosse vom Platz vertreiben. Dann ist er jetzt der Chef. Der ist mir lieber als die anderen beiden." |
Nach insgesamt vielleicht zehn Minuten hakte ich den Führstrick aus und entließ ihn wieder in die Freiheit. Länger wollte ich seine Konzentration für's Erste nicht fordern. Ein Weile folgte er mir noch, als hätte ich vergessen, den Führstrick von seinem Halfter zu lösen. Erst als ich zum Heuhaufen ging, hatte dieser dann die größere Anziehungskraft auf ihn und ich konnte wieder von der Weide gehen, um ihm von dort noch ein wenig zuzuschauen. |
Wahrscheinlich hatte ich es geschafft, mich zu seinem derzeit gewähltem Anführer zu etablieren. |
Sie haben das hier alles schon an anderer Stelle gelesen, deshalb kommt Ihnen ja auch alles so bekannt vor. Das war vollkommen beabsichtigt. Ich wollte Ihnen gern einmal im Zusammenhang zeigen, wie und wann man die einzelnen Sprachelemente in der Praxis anwenden kann. Und das ging am besten mit solch einem Beispiel.
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