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Wie geht es dir heute?

Mein Pferd Guy hat Asthma. Oft merkt der Außenstehende davon nichts. Vor allem während der Weide-Saison muß man auf seine chronische Krankheit kaum Rücksicht nehmen. Dennoch gibt es Tage, an denen er sich wirklich schlecht fühlt, weil er nur schwer Luft bekommt. Dies passiert vor allem in der Übergangszeit, im Frühjahr und im Herbst. Um mir das zu zeigen, geht er erst ein Stück von mir weg, bevor er sich von der Koppel abholen läßt. Das darf ich dann nicht persönlich nehmen. Er zeigt mir ja damit nicht, daß er etwas gegen mich hat. Er zeigt mir, daß er heute nicht reiten gehen will, daß er nicht mit mir traben oder gar galoppieren will. - Das ist seine Sprache: Pferdesprache.

An solchen Tagen sehe ich ihn genau an und beobachte ihn: Wenn der ganze Körper mitatmet, wenn Guy beim Atmen hinten die Seiten einzieht, geht es ihm wirklich nicht gut. Zusätzlich halte ich mein Ohr an seine Nase, um zu hören, wie schwer sein Atem geht. Auch das ist Pferdesprache.

Erst dann entscheide ich, ob wir eine kurze Schrittrunde machen, ob ich ihn nur ans Seil nehme oder sogar ganz in Ruhe lasse. Wenn wir reiten gehen können, muß ich aber ebenfalls die ganze Zeit sehr aufmerksam auf ihn achten: Wie geht sein Atem? Braucht er eine Pause? Oder können wir sogar ein Stück traben? Wenn Guy stark schwitzt oder sein Gang sogar unsicher wird, steige ich ab und führe ihn nach Hause. Auch das ist Pferdesprache.

Wenn wir unsere Pferde besser verstehen wollen, müssen wir auf jede Veränderung achten. Wenn ein Pferd, das sich sonst von der Koppel abholen läßt oder seinem Menschen sogar entgegenkommt, sich auf einmal entfernt, dann hat das einen Grund. Unsere Aufgabe ist es, diesen Grund zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Guy weiß inzwischen, daß ich auf ihn Rücksicht nehme. Und nicht nur das. Wir haben beide gelernt, ihm beim Reiten soviel Bewegung zukommen zu lassen, daß sich seine Beschwerden sogar bessern. Nicht mehr jedesmal, wenn es ihm schlecht geht, läuft er nun noch weg. Um so aufmerksamer muß ich deshalb natürlich sein, denn er erwartet unterdessen von mir, daß ich trotzdem erkenne, wie es ihm geht. Er glaubt, daß ich Pferdesprache verstehe.

Ich glaube, langsam dämmert es Ihnen, wie vielschichtig und diffizil Pferdesprache sein kann. Das ist aber nicht so schlimm. Denn auch Pferde machen Unterschiede. Sie wissen, wer sie schon besser kennt und wer nicht. Letzteren zeigen sie deutlicher, was sie sagen wollen. Dem, der sie gut kennt, vertrauen sie schon mehr Feingefühl zu und bedienen sich auch einer feineren Sprache.


Wichtig:
Je besser wir unsere Pferde kennen und verstehen lernen, desto besser erkennen wir auch, ob sie gesundheitliche Beschwerden haben, und können dann entsprechend Rücksicht nehmen. Desto seltener wird es uns passieren, daß wir entweder zu wenig oder zu viel (falsche) Rücksicht nehmen.

Wenn wir auf solche Veränderungen im Verhalten unserer Pferde achten, sind wir mit der Zeit auch besser in der Lage, Entscheidungen darüber zu treffen, z. B. ob wir das Pferd einfach nur mal in Ruhe lassen oder vielleicht sogar der Tierarzt gerufen werden muß.