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Pferd schubbert sich am Reiter

Ist das respektlos dem Menschen gegenüber?

Die Reitstunde ist zu Ende. Heute war ich sehr zufrieden mit uns, mit meinem Pferd und mit mir. Hoffentlich war mein Pferd auch zufrieden mit mir! Wir steigen ab. Mein Pferd möchte seinen Kopf an meinem Rücken reiben. Ich erlaube ihm das. Aber mein Pferd hat nicht lange etwas davon: "Nicht schubbern lassen!", ruft die Reitlehrerin, "Das ist respektlos vom Pferd. Es betrachtet dich als Kratzbaum!"

Als Kratzbaum? Das glaube ich eigentlich nicht, denn mein Pferd ist schließlich keine Katze! - Aber mal ganz im Ernst gefragt: Ist das wirklich respektlos dem Reiter gegenüber, wenn sich sein Pferd an ihm schubbert?

Das können wir mit einem klaren "Jein" beantworten. Es hängt nämlich von der Situation ab, in der wir uns befinden. Ich unterscheide da grundsätzlich zwei Situationen:

1. Das Pferd "fragt" erst vorsichtig

...und ich erlaube es ihm oder ich habe es sogar von mir aus dazu eingeladen. Sobald ich das abbreche, hört das Pferd wieder damit auf und steht still.
Wichtig:
Wenn der Mensch dem Pferd das Schubbern ausdrücklich erlaubt oder es sogar initiiert, also damit anfängt, dann stimmt die Rangordnung. Denn wer die soziale Fellpflege beginnt oder sie erlauben oder ablehnen kann, der ist der Chef.
Wie fragt ein Pferd eigentlich, ob es sich schubbern darf? - Es wird ein- oder zweimal vorsichtig probieren, dann eine (sehr kurze) Pause lassen, um meine Reaktion darauf, also meine Antwort auf seine Frage, abzuwarten.
"Ja" sage ich, indem ich dem Pferd die Stelle (z. B. meinen Rücken) besser präsentiere und dem Pferd noch etwas annähere und Gegendruck erzeuge, also gegenhalte. Ich kann gleichzeitig auch selbst z. B. am Widerrist oder am Hals des Pferdes mit meinen Händen kratzen und schubbern; ich kann aber auch die vermutlich betroffene Stelle, die das Pferd schubbern wollte, mit meinen Händen bearbeiten.
"Nein" sage ich, indem ich mich zu ihm hindrehe und gleichzeitig seinen Kopf wegdrücke. Direkter Blickkontakt mit großen Augen unterstreicht hier die Aussage. Keinesfalls weiche ich aus, denn wer ausweicht ist der Rangniedrige.
Wenn ich das so entscheiden kann, dann stimmte die Rangfolge zwischen uns schon vorher. Das ist auch erforderlich, denn ich kann meine Rangposition gegenüber dem Pferd nicht erst jetzt aufbauen.

2. Das Pferd fängt damit von sich aus an

...ohne erst vorsichtig zu fragen. Es hört nicht damit auf, obwohl ich das von ihm verlange. Dabei stört es sich überhaupt nicht daran, daß es mich schon anrempelt und fast umwirft.
Wichtig:
Wenn das Pferd diesen sozialen Kontakt beginnt, ohne sich dabei um die Meinung des Menschen zu scheren, dann stimmt die Rangordnung zwischen Mensch und Pferd nicht.
Das ist aber nicht erst in diesem Moment passiert, sondern die Rangordnung war bereits vorher in den Augen des Pferdes so geklärt: "Ich Chef - Mensch folgt!" In diesem Falle ist das durchaus respektlos vom Pferd dem Menschen gegenüber. Allerdings ist der Mensch selbst daran Schuld, da er dem Pferd durch sein vorheriges Verhalten die höhere Position zugestand. Somit braucht das Pferd aus pferdischer Sicht dem Menschen keinen Respekt entgegenbringen! Der Mensch muß sich erst einmal dem Pferd gegenüber die höhere Rangposition erarbeiten.

Noch ein Argument

Es gibt aber in Bezug auf Schulpferde durchaus ein Argument, das dagegenspricht, dem Pferd das Schubbern am Menschen zu erlauben: Schulpferde werden am häufigsten von kleinen Mädchen geritten. Diese sind nicht in der Lage, dem Druck, den das Pferd beim Schubbern eventuell erzeugt, standzuhalten. Das Pferd würde so ein kleines Mädchen einfach umwerfen. Und nur die allerwenigsten Mädchen in diesem Alter interessieren sich für die Sprache der Pferde und wissen rechtzeitig und richtig zu reagieren. Deshalb ist es im Falle von Schulpferden wohl besser, auf das Schubbern ganz zu verzichten, damit das Pferd lernt, daß es das am Menschen nicht tun soll.