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Spiel und Arbeit

"Du mußt dein Pferd mehr auf der rechten Hand arbeiten!", höre ich den Trainer zur Pferdebesitzerin sagen. "Es biegt sich rechts nicht genügend in den Wendungen. Außerdem ist es nicht gleichmäßig in seinen Bewegungen. Und was sage ich dir immer wieder? Das Pferd muß willig mitarbeiten. Dein Pferd aber hält die ganze Zeit den Kopf viel zu hoch, als wenn es sich gleich aus dem Staub machen will!"
Die Reiterin stöhnt leise. Sie ist durch die Anstrengung der letzten Stunde sichtlich erschöpft. "Ein Pferd auszubilden ist eben kein Spaß!", sagt der Trainer. "Arbeiten, arbeiten, arbeiten! Dann wird's mit der Zeit schon.", macht er ihr Mut.


Weder der Reiterin noch ihrem Pferd scheint der Unterricht Freude zu bereiten. Natürlich darf man die Ausbildung eines Pferdes nicht leichtfertig vernachlässigen. Aber Spaß machen darf sie schon. Beiden: Reiter und Pferd. Das gilt m. E. nicht nur für die Ausbildung eines Pferdes sondern auch für den Reitunterricht auf Schulpferden. Was da aber in einer Reitstunde so abläuft, sieht nur selten nach Spaß aus. Wie sagte der Trainer in der obigen Geschichte?: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten!" Und genau das ist es, was man in vielen Reitstunden erlebt. Nicht, daß man nach der Reitstunde nicht völlig erschöpft und durchgeschwitzt sein darf. Auch der Muskelkater am Folgetag ist völlig in Ordnung. Wenn man aber häufig den Eindruck mit nach Hause nimmt, daß es nur darum geht, verbissen an seinen Fehlern zu arbeiten und man sich immer wieder mit Schenkeln, Zügeln und Gerte beim Pferd durchsetzen mußte, so halte ich dies für ein triestes Reiter- und Pferdedasein.

Pferde spielen sehr gern. "Na so eine Überraschung!", werden Sie sagen, und, nach einem Moment des Überlegens: "Menschen doch eigentlich auch!". Na, da passen wir doch sehr gut zusammen, Menschen und Pferde!
Pferde spielen oft zusammen auf der Weide. Das kann man sogar beobachten, wenn man nur wenig Geduld mitbringt. Besonders trifft das auf Jungpferde zu.
Wenn wir es schaffen, unseren Pferden klar zu machen, daß wir nicht arbeiten sondern spielen gehen, werden wir Pferde haben, die mit viel mehr Freude und Elan an die Sache herangehen.
Das soll natürlich nicht heißen, daß wir von nun an den Reitunterricht gar nicht mehr ernst nehmen und deshalb keine Fortschritte mehr machen. Nur ein bißchen weniger ernst sollten wir den Unterricht nehmen. In erster Linie müssen wir unsere innere Einstellung etwas verändern: Verstehen wir selbst den Unterricht als Spiel! Lassen wir unser Pferd unsere Freude über etwas Gelungenes spüren! Lachen wir ruhig mal über etwas Mißlungenes! Natürlich kann es sein, daß wir das Pferd mal mit etwas mehr Druck und Zügeleinwirkung für einen Moment in die von uns (vom Reitlehrer) gewünschte Richtung drängen müssen. Danach lassen wir aber den Druck sofort wieder nach. Auch unter befreundeten Pferden passiert soetwas. Trotzdem bleiben sie befreundet und sind weiterhin gern zusammen.

Wenn wir die Möglichkeit haben, selbständig zu reiten, können wir noch wesentlich mehr machen, denn wir selbst bestimmen dann ja den Aufbau der Reitstunde. Dann müssen wir daran denken, daß auch ein Pferd hin und wieder Pausen braucht, genau wie wir. Also: ab und zu eine Schrittphase am langen Zügel einbauen. Dabei kann man streckenweise versuchen, das Pferd nur mit Gewicht und Körperhaltung zu lenken. Auch das macht Spaß, sogar wenn es nur ansatzweise funktioniert.
Ein Pferd kann sich höchstens zehn Minuten auf eine Sache konzentrieren, meist noch weniger. Also sollten wir uns im Verlauf der Reitstunde immer wieder neue Spiele (Übungen) einfallen lassen.
Man könnte sich Hüte (Pylonen, Warnkegel) aufstellen, um sie später im Slalom zu durchreiten, Cavaletti auch mal längs durchreiten, völlig neue Bahnfiguren erfinden, dem Pferd das Fußballspielen beibringen. Was auch immer. Der Fantasie sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt...

Wichtig:
Am wichtigsten ist jedoch, selbst Spaß am Zusammensein mit dem Pferd zu haben. Dann fällt es auch dem Pferd leichter, sich wohl zu fühlen. Denn es hat weniger Angst, etwas falsch zu machen.
Hier ein kleines Beispiel:
Ich ritt mit Ikarus allein auf dem Reitplatz. Wie immer hatten wir Schwierigkeiten beim Rückwärtsrichten. Naja, es waren vielleicht keine wirklichen Schwierigkeiten, er ging ja rückwärts. Aber mit leichtem Widerwillen und Verzögerung. Und ich mußte sehr genau bei den Hilfen sein. Aber so war er eben. Als wenn er mir sagen wollte: "Junge, ich kann schon rückwärts und seitwärts gehen! Du mußt das nicht immer wieder mit mir üben!"
Inzwischen schaute niemand mehr zu. Ich war außerhalb der Saison hergekommen. Da ist es ruhiger. Deshalb dachte ich mir, ich könnte auch mal etwas anderes probieren. Ich ritt im Schritt an den Pfeiler eines Sprunges heran, ganz dicht, und hielt an, um ihn mit der Hand berühren zu können. Dann ritten wir weiter zu Pfeilern der Reitplatzbegrenzung, um dort jeweils dasselbe zu tun. Irgendwann landeten wir dabei in einer Ecke des Reitplatzes. In einer Hand hielt ich die Zügel, mit der anderen versuchte ich, den Eckpfeiler anzufassen. Es reichte noch nicht. Deshalb ließ ich Ikuarus einen Schritt zur Seite in Richtung des Pfeilers machen und drehte ihn dabei ein wenig in die richtige Richtung. Nun war ich dicht genug dran und konnte den Eckpfeiler anfassen. "Prima, mein Junge. Das hast du fein gemacht.", sagte ich zu Ikarus und streichelte ihn kurz. Wir gingen rückwärts aus der Ecke wieder heraus und peilten das nächste Ziel an.
Dabei wurde mir klar, daß wir soeben einhändig "Übungen" geritten hatten, die ich sonst vielleicht nicht einmal mit beiden Händen an den Zügeln und unter allerhöchster Konzentration geschafft hätte. Wir hatten aus der Reitstunde ein kleines Spiel gemacht, und Ikarus hatte mitgedacht, er hatte verstanden, was ich an den Pfeilern wollte, und mich beim Erreichen unserer kleinen Ziele voll unterstützt!