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Etwas Entgegenkommen

Im Artikel Verhalten der Pferde - Die Rangordnung habe ich die Behauptung aufgestellt, daß man seinem Pferd mitunter das Recht zugestehen darf, in bestimmten Situationen selbst Entscheidungen zu treffen, ohne daß wir Gefahr laufen, daß das Pferd dann insgesamt die Führung übernehmen wird. Die Voraussetzung dafür ist, daß es eine vorher genau festgelegte Aufgabenteilung gibt, die beide, Pferd und Reiter, verstanden haben.

Hier möchte ich sogar noch einen Schritt weiter gehen: Wenn wir unseren Pferden ein Stück entgegenkommen und ihnen dieses Recht in passenden Situationen hin und wieder einräumen, kann das unsere Position als Führer sogar festigen.

Einmal hatte ich mit zwei jungen Frauen einen Ausritt unternommen, weil ich die Gelegenheit nutzen wollte, mir von Ortskundigen die Gegend zeigen zu lassen. Trotzdem verirrten wir uns hoffnungslos. Als wir endlich auf einen Waldweg trafen, beschloß ich, mein Pferd Ikarus nach dem richtigen Weg zu fragen:
Ich ritt mit Ikarus auf den Waldweg und gab ihm vollständig die Zügel. Er bog nach rechts ab. "Ikarus hat gesagt, zum Stall geht es nach rechts!", rief ich den beiden zu. Bald hörten wir die Autobahn, und noch ein wenig später trafen wir auf eine Straße, die wir kannten, und die uns über die Autobahnbrücke nach Hause führte.
Ich hatte Ikarus also vollständig die Entscheidung überlassen, in welche Richtung wir alle gehen würden. Danach hatte ich trotzdem zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, daß er sich von nun ab als Chef aufspielen würde. Als wir auf die uns bekannte Straße trafen, übergab er mir sofort wieder die Führung. Ich würde eher sagen, daß dieses Ereignis unsere Beziehung noch ein wenig gefestigt hat, da mein Vertrauen zu ihm durch sein Verhalten in dieser Situation noch stärker wurde. Auch sein Vertrauen zu mir scheint damals noch ein wenig größer geworden zu sein.
Wichtig:
Wenn wir unseren Pferden in passenden Situationen hin und wieder eigene Entscheidungen zugestehen, kann das unsere Position als Führer sogar festigen.
Würde ich dagegen eine Entscheidung auf einem Gebiet, auf dem ich kaum Kompetenz besitze, mit Gewalt durchsetzen und uns so in Gefahr bringen, würde ich das Vertrauen des Pferdes zu mir deutlich schmälern, denn ich würde mich dem Pferd gegenüber als nicht vertrauenswürdig erweisen.

Ein Beispiel

Mark Rashid ist ein Autor, der gut erzählen kann. In einem seiner Bücher beschreibt er, wie er einmal mit seinem Pferd Buck unterwegs war, um nach einem ausgebüchsten Wallach zu suchen. An einer Weggabelung schlug Buck völlig selbständig einen anderen Weg ein. Mark war überrascht, weil sein Pferd soetwas normalerweise nicht tat. Sie waren bereits einige Zeit mit der Suche beschäftigt, so daß er es auf die Müdigkeit seines Pferdes schob, und seine eigene Vorstellung vom richtigen Weg unter Protest des Pferdes durchsetzte. Es stellte sich heraus, daß Buck durchaus verstanden hatte, daß sie den Wallach verfolgten, und daß er wußte, wo dieser sich versteckt hatte. Hätte Mark in dieser Situation seinem Pferd vertraut, so schreibt er, hätte er damit beiden ein anstrengendes Stück Weg erspart.

Mark Rashid meint, daß es sehr schade ist, daß wir Menschen uns immer für klüger als unsere Pferde halten, und unsere eigenen Entscheidungen ganz selbstverständlich als die besseren durchsetzen.
Aus seiner Erfahrung heraus sagt er, daß es - wie zwischen Menschen ja auch - ein ständiges Geben und Nehmen zwischen beiden geben müßte. Es wäre gut, sie spüren zu lassen, daß wir ihrem Urteil situationsabhängig vertrauen. Diese "halbe Chance" sollten wir ihnen geben.