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Die Angst der Fluchttiere

OK - ich schreibe jetzt nicht noch einmal, daß Pferde Fluchttiere sind. -- Oh je, jetzt habe ich es doch getan! -- Es tut mir leid.
Sie sind Fluchttiere, weil sie vor einer potentiellen Gefahr fliehen. Um dies zu können, müssen sie permanent auf der Hut sein. Dies ist sehr anstrengend, deshalb erleichtert ihnen die Arbeitsteilung in der Herde das Leben sehr: Es passen immer nur einige ranghohe Pferde, oft nur eines, auf mögliche Gefahren auf.

In den einleitenden Gedanken, im Artikel Pferde und Menschen konnten Sie bereits lesen, wie sehr das Gefühl Angst das Denken und Leben der Pferde beeinflußt:
Fluchttiere, also auch Pferde, leben ständig in Angst vor Gefahren, vor allem vor Raubtieren. Sie wissen nicht, wie sie aussehen, aber sie wissen, daß es welche gibt. Was sie auch nicht wissen ist, daß es in unseren Regionen gar keine Raubtiere mehr gibt, weil der Mensch es geschafft hat, sie vollständig auszurotten. Und weil sie das nicht wissen, sind sie ständig auf der Hut. Deshalb wünschen sie sich jemanden, der an ihrer Stelle aufpaßt, ob in ihrer Nähe Gefahren lauern.
Fluchttiere haben auch Angst vor allem Neuen, vor allen Veränderungen ihrer gewohnten Umgebung. Da genügt schon ein Stapel Baumstämme im Wald, der dort beim letzten Mal noch nicht war. Manche Pferde haben dann soviel Angst, daß sie sich an so einem Holzstapel überhaupt nicht vorbei trauen.

Diese Angst der Pferde ist einer der Hauptgründe, warum es in der Herde eine Rangordnung gibt, und warum Pferde eine Individualdistanz haben.

Konsequenzen für den Reiter

Vielleicht wissen Sie das ja alles schon. Aber wir müssen uns bewußt machen, daß dieses Auf-der-Hut-sein und das Angst-bekommen das ganze Leben eines Pferdes weitgehend beeinflußt. Ein Pferd will nichts anderes, als überleben. Und das versucht es nach bestem Wissen.

Wenn ein Pferd sich verweigert, tut es das selten aus Unwilligkeit oder gar Bosheit, häufig jedoch aus Angst. Wir als Reiter müssen es schaffen, dem Pferd seine Angst zu nehmen.
Wenn ein Pferd sich nicht sicher ist, daß so ein Holzstapel es nicht anspringen und fressen wird, dann zögert es, daran vorbeizugehen. Dann ist an uns, ihm sofort zu "sagen", daß von dem Objekt keine Gefahr ausgeht. Und es ist an uns, sofort eine Entscheidung zu treffen, was nun zu tun ist: nämlich weitergehen.
Tun wir das nicht, wird das Pferd seine Angst behalten. Es ist dann gezwungen, selbst eine (in seinen Augen) adäquate Entscheidung zu treffen. Vielleicht scheut es oder flieht erstmal ein Stück weit, um dann vom Weiten zu sehen, ob uns das Ding folgt. - Sie sehen: es ist weitaus besser, wenn wir selbst diese Entscheidung treffen. Wie wir das tun, lesen Sie etwas später im Thema "Umgang", in den Artikeln Kompetenz und Aufmerksamkeit.

Angst - ein starkes Gefühl

Pferde sind Vegetarier. In der "Nahrungskette" sind sie jene, die auf dem Abendbrotteller eines Raubtieres enden könnten. Für alle Beutetiere ist es deshalb lebensnotwendig, allzeit wachsam und aufmerksam ihre Umgebung in Auge und Ohr zu behalten, um sich möglichen Gefahren durch schnelle Reaktion entziehen zu können. Angst kann also lebenserhaltend sein und ist deshalb eine sehr ausgeprägte Emotion der Beutetiere. Ein ängstliches Pferd hat einen erhöhten Adrenalinspiegel, der Puls und Atmung beschleunigt. Die Mukulatur ist verspannt, was an nervösen und eckigen Bewegungen und speziell am verkniffenen Maul sowie der vorgeschobenen Oberlippe erkennbar ist. Der Kopf wird hoch getragen, die Augen sind weit geöffnet, die Ohren zeigen leicht nach hinten und zur Seite. Der Schweif wird an oder sogar zwischen die Hinterbeine gedrückt. Unter Angsteinfluß mistet ein Pferd öfter. Es kann vor Angst ins Schwitzen kommen, es schnauft und wiehert laut und in hohen Tönen.